Montag, 15. Oktober 2012

Mündigkeit ist Disziplin und Liebe



Ohne Anstrengung, ohne Mühe, ohne Schmerzen, ohne Leid ist kein Wachstum möglich – spirituell wie körperlich. Der Weg der Menschwerdung ist ein Weg der Bewußtwerdung, und dieser Weg ist anstrengend und mühsam. Das Gehen dieses Weges ist schmerzhaft und leidvoll, aber immer auch befriedigend und erfüllend. Am Ziel warten Bewußtsein, Freude und Glück – Sinn und Zweck des Lebens. Mündige Menschen erreichen dieses Ziel – mit Disziplin und Liebe. Sie sind die wirklichen »Menschen«. Selbstverschuldet unmündige Menschen verfehlen dieses Ziel. Sie sind die eigentlichen »Sünder«.

Selbstverschuldet unmündige Menschen sind „Problematische Naturen, die keiner Lage gewachsen sind, in der sie sich befinden“ (Johann Wolfgang von Goethe).

Unser Lehnwort „problematisch“ ist dem lateinischen Adnomen (Eigenschaftswort) »problematicus« und dem altgriechischen Adnomen »próblēmatikós« entlehnt; beide bedeuten »schwierig«, »fraglich«, »ungelöst«, »unentschieden«. 

Die absolute Mehrheit der Menschheit aber versucht, Problemen auszuweichen, weil der Prozeß, sich Problemen zu stellen und sie zu lösen, unbequem, unangenehm, ja schmerzhaft ist. Doch dieser Versuch ist vergeblich, denn das Leben besteht aus einer unendlichen Reihe von Problemen.

Aber gerade das gibt dem menschlichen Leben überhaupt erst seinen Sinn: Durch die Annahme und Überwindung des Schmerzes, uns den Problemen zu stellen und sie zu lösen, lernen wir. Nur durch Probleme und ihre Lösung wachsen wir spirituell.

Leben aber heißt nichts anderes, als sich seiner selber bewußt zu werden. Der Sinn unseres Lebens ist Bewußtwerdung oder Selbsterkenntnis.

Der selbstverschuldet unmündige Mensch bleibt gewissermaßen freiwillig auf der Stufe des Tieres oder zumindest des Kleinkindes stehen und ist daher der eigentliche Sünder.

Fast jeder moderne Mensch versucht, dem Schmerz auszuweichen, der mit der Übernahme der Verantwortung für seine eigenen Probleme verbunden ist. Wann immer wir der Übernahme der Verantwortung für unser Verhalten und unsere Probleme ausweichen wollen, versuchen wir, diese Verantwortung einem anderen Individuum, einer Institution, einer Organisation, „der Gesellschaft“ oder „der Regierung“ zuzuschieben. Auf diese Weise geben wir diesen Personen und Einrichtungen jedoch unsere Macht und damit Macht über uns.

Um den Schmerz der Verantwortung zu vermeiden, flüchteten und flüchten Milliarden von zwar biologisch erwachsenen, aber psychisch und mental infantilen, eben selbstverschuldet unmündigen Menschen tagtäglich vor der Freiheit – und begeben sich freiwillig in die Sklaverei eines Polizeistaates (BRD!)

Diese Menschen fühlen sich dann auch machtlos – weil sie ihre Macht tatsächlich abgegeben haben. Und sie sind verantwortungslos – weil sie ihre Verantwortung ebenfalls abgegeben haben. Sie werden immer Opfer der Mächtigen und Herrschenden sein, und sie machen andere (ihre Kinder und die anderen Mitglieder der Gesellschaft) ebenfalls zu Opfern, weil sie den Herrschenden Macht geben und den Mündigen Macht nehmen.

Wenn unsere Karte richtig und auch genau ist, werden wir stets wissen, wo wir uns gerade befinden. Und wenn wir unser Endziel kennen und die jeweiligen Etappen-Ziele auf dem Weg dorthin bestimmt haben, werden wir auch wissen, wie wir dorthin gelangen, und werden uns nicht verlaufen. Wenn unsere Karte jedoch ungenau oder gar falsch ist, werden wir uns verirren.

Nur sehr, sehr wenige bemühen sich bis zum Augenblick ihres Todes, die Welt unaufhörlich zu erforschen, ihre Sicht und ihr Verständnis der Welt ständig zu erweitern und zu verfeinern, zu korrigieren und neu zu definieren. Das aber ist die einzig anständige, seriöse Art zu leben.

Um unsere Karten an die Wirklichkeit anpassen zu können, brauchen wir natürlich aktuelle Informationen über diese Wirklichkeit. Diese Informationen müssen wir uns regelmäßig aktiv selber besorgen. Schon dazu sind die meisten Menschen zu träge, zu faul (das ist ein Kriterium selbstverschuldeter Unmündigkeit). Hinzu kommt, daß wir wegen dieser neuen Informationen unsere Landkarte, also unsere liebgewonnene (falsche) Weltanschauung, unsere eigene (irrige) Meinung dann eben ändern müssen. Auch dazu sind die meisten Menschen zu faul – und, vor allem, zu feige (das ist ein weiteres Kriterium selbstverschuldeter Unmündigkeit). Die meisten Menschen fürchten sich nämlich vor dem Neuen, Unbekannten und meiden daher die Realität.

Deswegen leben die meisten Menschen in einem blockhaft selbstgezimmerten, künstlichen Konstrukt eines holzschnittartigen Weltbildes, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat.

Wenn solche Menschen nun mit Informationen und Kritik konfrontiert werden, die sie – bewußt oder unterbewußt – ahnen oder spüren lassen, daß sie in einer Art „Wolkenkuckucksheim“ leben, daß ihre Landkarte, ihre Weltsicht falsch ist und nichts mit der Realität zu tun hat, überfällt sie Angst und sogar Panik. Solche Menschen klammern sich dann krampfhaft an ihr falsches Weltbild, weil sie es so empfinden, als ob ihnen der Boden unter den Füßen weggezogen würde. Zudem fürchten sie sich auch vor der Realität, zumal wenn sie unerfreulich ist (gerade deshalb waren sie ja in ihr selbsterrichtetes, illusionäres „Luftschloß“ geflüchtet). Sie blocken total, wehren Kritik heftig ab und ignorieren hartnäckig die neuen Informationen.

Oft ziehen sie daher sogar aktiv gegen die neuen Informationen und gegen die Informanten zu Felde. Sie verleugnen die neue Information als „falsch“, „lächerlich“ oder „gefährlich“ und diffamieren den Informanten als „Ketzer“, „Spinner“ oder „Verschwörungs-Theoretiker“. Das kann sogar soweit gehen, den Informanten aktiv zu denunzieren und zu kriminalisieren, zu verfolgen und zu bekämpfen, ja zu vernichten.

Das ist der natürlich vergebliche, weil untaugliche Versuch, die Realität so zu manipulieren, daß sie mit ihrer falschen Landkarte (vermeintlich) „übereinstimmt“. Im Extremfall versuchen solche kranken Menschen, die Realität zu „zerstören“, um bloß nicht ihre Karte ändern zu müssen. Das ist natürlich unmöglich und deshalb unsinnig, denn »Wirklichkeit« kann nicht zerstört werden.

Solche Menschen vergeuden mehr Energie zur Verteidigung ihrer falschen Weltanschauung, als sie für die Revidierung und Korrektur ihres falschen Weltbildes benötigen würden.

Wille, Urteilskraft und Tatkraft werden geschult und geübt. Wille und Urteilskraft sind notwendige Voraussetzungen für richtige und kluge Entscheidungen, Tatkraft für deren Umsetzung in die Praxis, in die Tat. Der undisziplinierte, willensschwache Mensch ist Sklave, Knecht und Gefangener seiner Triebe, Stimmungen und Emotionen, während der disziplinierte Mensch freier Herr seiner selbst ist.

»Disziplin« umfaßt nach Dr. Scott M. Peck vier Techniken, den Schmerz von Problemen konstruktiv zu überwinden: die Bereitschaft und die Fähigkeit des Aufschiebens von Belohnungen, das Akzeptieren und die Übernahme von Verantwortung für sich selber, die totale und unbedingte Hingabe an die Wahrheit und an die Wirklichkeit. Das ist nicht viel und auch nicht kompliziert. Das Problem liegt nicht in den Techniken, sondern in dem Willen, sie anzuwenden. Denn es sind Techniken, mit denen man sich dem Schmerz stellt, anstatt ihm auszuweichen; wenn man jedoch echtes Leid vermeiden will, dann wird man auch den Gebrauch dieser Techniken vermeiden.

Der Wille, die Kraft, sie trotzdem einzusetzen, ist die Liebe – um genau zu sein: die Selbstliebe. Deshalb ist »Disziplin« immer »Selbst-Disziplin«.

Die heute grassierende Unmündigkeit der meisten modernen Menschen ist trotzdem selbstverschuldet. Denn selbstverschuldete Unmündigkeit ist Flucht vor der Realität und die Weigerung, sich der Realität zu stellen – aus Faulheit, Feigheit und Schwäche. Die entspringen zwar immer mangelnder Selbst-Disziplin, also wiederum mangelnder Selbst-Liebe und mangelndem Selbstwertgefühl aber Selbst-Disziplin ist dennoch für jeden in gewissem Maße trainierbar (so wie z. B. Muskeln).

Das vielleicht beste Maß für die Größe eines Menschen ist seine Bereitschaft und seine Fähigkeit, zu leiden.

Liebe(n) und Disziplin gehen Hand in Hand. Lieblose Menschen sind disziplinlose Menschen. Denn »Liebe(n)« ist nicht zu verwechseln mit »Verlieben«:

»Liebe(n)« ist vom Willen bestimmt. Echte Liebe ist eine wohlbedachte, freiwillig getroffene Entscheidung, die uns verpflichtet. Liebe(n) ist also eine Form oder ein Ausdruck von Mut, sich mit einer bewußten Entscheidung zu einer tätigen Anstrengung zu verpflichten. Wenn eine Handlung nicht mit Mut und Arbeit verbunden ist, ist sie kein Akt der Liebe / des Liebens.

Da Liebe(n) also »Arbeit« ist, ist Nicht-Liebe(n) »Faulheit«.

Das einzige wahre Ziel der Liebe / des Liebens ist spirituelles Wachstum.

Wer das versteht, akzeptiert und praktiziert, ist mündig und damit erst wirklich »Mensch«.  




2 Kommentare:

  1. An sich ein guter Artikel, dennoch zwei Kritikpunkte. Erstens, der inflationäre Gebrauch des abstrakten Begriffs "Liebe" und zweitens die Vertauschung von Realität und Wirklichkeit. Das was wir sehen, das was greifbar ist, ist die Realität, aber nicht automatisch auch die Wirklichkeit. Ein Beispiel: Politiker auf der ganzen Welt entscheiden über die Geschicke ihrer Länder. Das ist offensichtlich Realität, denn die Medien zeichnen dieses Bild und die Politiker agieren rund um die Uhr wie man es von ihnen erwartet. Sie halten Reden, beschließen allerlei und setzen dies dann evtl. um. Ziehen nun aber z.B. andere Mächte im Hintergrund die Fäden, so wäre dies die Wirklichkeit. Besonders gelungen ist allerdings folgende Passage: "Nur sehr, sehr wenige bemühen sich bis zum Augenblick ihres Todes, die Welt unaufhörlich zu erforschen, ihre Sicht und ihr Verständnis der Welt ständig zu erweitern und zu verfeinern, zu korrigieren und neu zu definieren." Die perfekte Beschreibung der freien Geister, der freien Denker. Merke: Freiheit beginnt im Kopf. ;-)

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  2. Lieber Admin,
    ich danke Ihnen von Herzen für diesen großartigen Text! Das Verstehen seines Inhaltes ist die Voraussetzung, dass Menschen erkennen können, worin der Wert des Strebens nach Wahrheit besteht. Erst im Prozess des Erkennens von Wirklichkeit (erfordert viel Mut)- auch Selbsterkenntnis - und einem daraus folgenden notwendigen Handeln, verbunden mit Selbstdisziplin und Liebe, kann ein Mensch Freiheit, Würde und echte Menschlichkeit erlangen und zugleich die Stufe menschlicher Entwicklung um derentwillen er hier auf der Erde ist - mit anderen Worten: nur so kann er seine 'Lebensprobe' (so nennt es Jakob Lorber) auf diesem Planeten bestehen.
    Ich freue mich darüber, dass Sie Dr. Scott Peck in ihrem Artikel erwähnen, denn er hat großartiges Wissen vom Menschen und was er über Liebe geschrieben hat, gehört zum Besten und Eindrucksvollsten, was zwischen zwei Buchdeckeln zu finden ist ("Der wunderbare Weg")!!!
    Auch Dr. Peck hat durch großes persönliches Leid gehen müssen, bevor er all diese Erkenntnisse gewann, mit denen er Menschen so wirksam helfen kann.
    Hier noch ein passendes Zitat von Herbert Fritsche:

    „Leidvermeiderei, wie und wo sie sich auch immer offenbare,
    zeigt stets an, dass der, der sie betreibt,
    ein grundsätzlich Uneingeweihter ist.“

    Lieben Gruß
    B.

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